Die Schattenseiten des Whiskybooms
Reportage Schottischer Whisky wird immer beliebter. Nie wurden mehr Flaschen exportiert. Doch der Boom verursacht Probleme. Eine nüchterne Erkundung auf der Insel Islay.
Adam Hannett steht an diesem Donnerstagmorgen draussen in der Sonne und schaut ein wenig verwundert aufs Meer hinaus. Echt jetzt, schon wieder keine Wolke? Es ist Mitte Juni, seit acht Wochen hat es kaum geregnet, wenn es so weitergeht, hat er ein Problem. Hannett blickt in den blauen Himmel, dann kneift er die Augen zusammen und sagt: «Bleibt es noch länger so warm und so trocken, müssen wir die Produktion stoppen.» Und das ausgerechnet in Schottland, wo es doch angeblich so viel regnet.
Hannett zuckt mit den Schultern. Das Klima ändert sich, und wer das verdrängt, hat schon verloren. So sieht er das. Adam Hannett hat einen Titel, für den ihn viele bewundern: Er ist der Head Distiller der weltbekannten Brennerei Bruichladdich. Und damit verantwortlich dafür, wie der Whisky schmeckt, den sie hier herstellen.
Bruichladdich ist unter den Destillerien der grösste Arbeitgeber auf Islay (sprich: «Eila»). Islay zählt zu den Inneren Hebriden, sie ist die südlichste Insel der Inselgruppe an der schottischen Westküste und die Heimat von 3200 Menschen, 30’000 Schafen und neun Whiskybrennereien. Manche von ihnen haben Namen, die nicht ganz einfach auszusprechen sind. Laphroaig zum Beispiel oder eben Bruichladdich. Was sie aber alle gemeinsam haben: Sie zählen zu den besten Destillerien der Welt. So soll es weitergehen, drei neue Brennereien sind bereits genehmigt. Und dabei wird es wohl nicht bleiben.
Den Whiskyherstellern geht das Wasser aus
Getrunken wird jedenfalls genug. Whisky aus Schottland boomt. Im vergangenen Jahr wurden so viele Flaschen exportiert wie nie zuvor. Der Wert der Ausfuhren stieg um 37 Prozent auf 6,2 Milliarden Pfund, also umgerechnet fast sieben Milliarden Franken. Vor allem in Asien wird schottischer Whisky immer beliebter, das zeigen die Zahlen der Scotch Whisky Association. Aber auch in Europa wird mehr gekauft.
Der Boom hat allerdings auch Schattenseiten, vor allem für die Schotten selbst. Man kann sagen: Das ganze Vereinigte Königreich hat ein Alkoholproblem, doch nirgendwo in dem 67-Millionen-Einwohner-Land sterben so viele Menschen an den Folgen übermässigen Konsums wie in Schottland.
Wer Adam Hannett dort im Frühsommer besucht, trifft ihn draussen im Innenhof der Brennerei. Von dort sieht man nicht nur das Meer, man riecht auch schon, was einen erwartet. In der Luft liegt eine Mischung aus Malz und rauchigem Torf.
Normalerweise stehen die Chancen nicht schlecht, dass es regnet, wenn man Islay besucht. Doch in diesem Frühsommer ist es anders. Hannett kann sich jedenfalls nicht erinnern, dass es einmal so lange trocken blieb. Und wärmer als sonst ist es auch. Hannett hat deshalb zwei Probleme: Das Wasser, das er zur Whiskyproduktion braucht, wird immer weniger. Und das, was da ist, ist zu warm. Um das zuckerhaltige Gemisch nach der Erhitzung in den Maischebottichen wieder abzukühlen, sollte die Wassertemperatur unter 20 Grad liegen, sagt er. Doch zurzeit sind es 25 Grad. Er muss das Wasser also erst kühlen, was Zeit und Energie kostet.
Hannett ist trotzdem bester Laune, das Geschäft läuft gerade ziemlich gut. Er hofft, dass es so weitergeht. Selbstverständlich ist das nicht. Whisky war ja nicht immer so beliebt. Erst seit Anfang des Jahrtausends kann man von einem neuen Boom sprechen, was auch an der Werbung und dem Marketing liegt, die Brennereien wie Bruichladdich machen. So ist etwa die Flasche des klassischen Single Malts knalltürkis. Das fällt natürlich auf. Und dann sind da noch die Werbeartikel mit dem Firmenlogo, die man kaufen kann.
Hannett steht jetzt wieder draussen im Innenhof. Am Himmel ist immer noch keine Wolke zu sehen. Er sagt: «Neben dem Klimawandel macht mir vor allem eines Sorge: Wir schaffen es kaum, Menschen dazu zu bringen, nach Islay zu kommen und hier zu arbeiten.»
Wer mehr über die Probleme der Insel erfahren will, landet früher oder später im Örtchen Bowmore. Von Bruichladdich fährt man mit dem Auto eine Viertelstunde am Meer entlang, schon ist man dort. In einem weissen Haus mit grünen Fenstergiebeln hat Brian Palmer sein Büro. Er ist Chefredaktor der «Ileach», der Zeitung für Islay und die Nachbarinsel Jura. Er lebt seit 1987 auf Islay. Palmer ist einer, der offen sagt, was er denkt. Auch wenn das manche auf der Insel nicht so gern hören.
Er sitzt jetzt an seinem Schreibtisch, vor ihm ein riesiger Bildschirm, und bittet erst mal um Verständnis. Man dürfe ihn bitte nicht falsch verstehen: Natürlich sei der Whisky gut für die Insel, aber die Schattenseiten des Booms würden häufig ausgeblendet.
Geht es nach dem Chefredaktor, gibt es eine Zahl, die im Grunde für all die Probleme steht. Er hat sie vor kurzem auf die Titelseite der «Ileach» gedruckt: «14?» Damit war die Zahl der Brennereien gemeint. Eigentlich hätte Palmer auf das Fragezeichen verzichten können, findet er, denn: «Jetzt sind es neun, aber ich bin mir sicher, es wird vierzehn Brennereien geben.» Und damit werde sich nicht nur das Problem mit den mangelnden Häusern und Arbeitskräften verschärfen, sondern auch das, was Palmer das «ferry fiasco» nennt.
Das Fiasko lässt sich am Hafen von Port Askaig beobachten, wo die Fähre von Islay in Richtung Festland ablegt. Lastwagen um Lastwagen fährt auf das Schiff, voll beladen mit Whisky. Und weil so viele Camions auf die Fähre müssen, bleibt weniger Platz für die Autos von Einheimischen.
Man hätte gern mit Jenni Minto über das Thema gesprochen, sie sitzt für den Wahlkreis Argyll and Bute, zu dem auch Islay gehört, im schottischen Regionalparlament. Doch die Politikerin der Scottish National Party ist nicht zu sprechen. Zu viel zu tun vor der Sommerpause, lässt ihr Sprecher ausrichten. Fragen beantworte sie aber gern per E-Mail. «Ich weiss, dass die Fährenflotte unter erheblichem Druck steht, was frustrierend ist und für viele Menschen auf Islay schwerwiegende Folgen hat», schreibt Minto.
Schottland hat ein grosses Problem mit dem Alkohol
Und es gibt noch eine Sache, über die man gern mit Minto gesprochen hätte: das Problem mit dem Alkohol. 2021, das sind die neusten Daten, sind im Vereinigten Königreich so viele Menschen wie nie zuvor an den Folgen schweren Alkoholkonsums gestorben: 9641 Tote, laut Nationalem Statistikamt sind das auf 100’000 Einwohner gerechnet 14,8 Tote. In einem Jahr. In Schottland lag die Quote mit 22,4 Toten auf 100’000 Einwohner im Vergleich zu den anderen britischen Landesteilen am höchsten. Auf ihrer Internetseite diagnostiziert die Regierung in Edinburgh ziemlich schonungslos, dass «Schottland eine tiefe, langjährige und problematische Beziehung zum Alkohol» habe.
Die schottische Regierung hat deshalb eine öffentliche Beratung gestartet. Zur Debatte steht ein Werbeverbot, und zwar nicht nur auf Tafeln im öffentlichen Raum und in Zeitungen. So könnte es den Herstellern von alkoholischen Getränken auch untersagt werden, Werbeartikel wie Gläser oder T-Shirts zu verkaufen.
Adam Hannett hält davon etwa genauso viel wie die Scotch Whisky Association, die die Interessen der schottischen Brennereien vertritt: nämlich gar nichts. Das überrascht natürlich nicht, denn jede Destillerie hat einen mehr oder weniger grossen Laden, wo man nicht nur Whisky kaufen kann, sondern auch Pullis, Handtaschen oder Fressnäpfe für Hunde. Überall darauf: das Logo der Brennerei.
Die Besucher kommen aus der ganzen Welt
Einmal im Jahr wird es auf Islay besonders voll. Ende Mai, Anfang Juni, da findet das Fèis Ìle statt, das Islay-Festival. Jede Brennerei hat ihren «open day» und lädt zum Verkosten ein. Und weil es auf der Welt viele Menschen gibt, die nichts lieber mögen als das, stehen sie schon morgens vor den Destillerien Schlange. Die Besucher reisen von überall an.
Auch vor Kilchoman warten die Whiskytouristen jedes Jahr geduldig auf Einlass. Die Brennerei wirbt damit, die einzige unabhängige Destillerie auf der Insel zu sein. Anders als Bruichladdich (Rémy Cointreau) oder Ardbeg (LVMH) gehört Kilchoman zu keinem grossen Konzern.
Gegründet wurde die Destillerie 2005 von Anthony Wills, einem Engländer. 2005 hat er hier auf der Insel mit fünf Mitarbeitern angefangen, jetzt sind es fünfzig. In diesem Zeitraum hat er die Whiskyproduktion um 30 Prozent gesteigert.
Und sonst? Ach ja, die Preise. Letztens wurde ein dreissig Jahre alter Whisky der Brennerei Port Ellen bei Ebay versteigert. Für 4500 Pfund, umgerechnet 5065 Franken. «Einfach nur verrückt», sagt Wills. So manche im Whiskygeschäft müssten aufpassen, dass sie nicht zu gierig würden, meint er.